Freitag, 1. Februar 2019

2. Kulturschock

Ich bin wieder da! Selten hat mich der Geruch von Motorenöl, Staub und verbranntem Plastik so glücklich gemacht, als ich um sechs Uhr verschlafen aus dem Flughafen von Lima wanke. Ich werde vom Hostelfahrer durch die halbe Stadt gefahren und beobachte amüsiert den südamerikanischen Verkehr: aus drei Spuren werden wie durch Zauberhand vier bis fünf, die Hupe dient als aktive Fahrhilfe. Die Ampelphasen werden großzügig ausgelegt und obwohl ich das alles bereits kenne, bin ich völlig erschlagen. Das könnte aber auch mit dem leichten Temperaturwechsel zusammenhängen: als ich in Deutschland ins Flugzeug stieg, waren um mich herum Temperaturen um den Gefrierpunkt, hier zeigt das Thermometer 28°C und die Luftfeuchtigkeit liegt bei gefühlten 300%. Zu meinem Glück stelle ich fest, dass mein Spanisch immerhin noch ausreicht, um die notwendigsten Dinge zu regeln, aber es reicht für extrem smallen Smalltalk. 
Ich lasse meine Sachen im Hostel, da mein Bett zu dieser Uhrzeit noch belegt ist und wage erste, müdigkeitsbedingt zittrige Schritte durch die Gassen Barrancos. Um sowohl Kulturschock als auch Müdigkeit besser verarbeiten zu können, kaufe ich mir bei Starbucks einen Kaffee, gebe mich als Pablo aus. Rauchend setze ich mich auf eine Parkbank und frage mich, wo ich hier eigentlich gelandet bin. Die Leichtigkeit Südamerikas ist noch nicht in mir angekommen, bei jedem Hupen eines Autos oder Mopeds, was hier wie gesagt zum guten Ton gehört, zucke ich leicht zusammen. Die Straßen überquere ich zögerlich und erinnere mich dunkel, dass man hier am Besten dran ist, wenn man einfach losgeht - es wird zwar gehupt und geschimpft, aber angehalten. 
Das Hostel ist angenehm klein und verwaltet sich größtenteils selbst. Der harte Kern des Hostels, alles junge Leute, die größtenteils schon mehrere Monate unterwegs sind, erledigt alle anfallende Arbeit. Der Chef schaut einmal pro Tag kurz vorbei und muss sich mehr oder weniger um nix kümmern. Das zusammenleben erinnert an eine sehr große WG, am Abend das alltägliche Ausklingen mit Drogenkonsum in all seinen landestypischer Facetten. Meine ersten neuen besten Freude sind - wie sollte es auch anders sein - zwei Deutsche. Die nicht vorhandene Sprachbarriere ist natürlich verlockend, zumal die vorherrschende Sprache hier im Hostel Spanisch ist. Ich komme mit Mühe mit, bei den katalanischen Touristen steige ich irgendwann achselzuckend aus. Am Abend rede ich mit einigen venezuelanischen Backpackern und höre schlimme Geschichten, die ich mit Hilfe meiner Freunde einigermaßen übersetzt bekomme. War mein Reisekumpane Nikolaus vor vier Jahren noch nach meinem Abschied zwei Monate in Venezuela und meinte, die beste Zeit seines Lebens dort gehabt zu haben scheint sich die Situation noch einmal dramatisch verschlimmert zu haben. Selbst die Lebensmittelmarken gehen inzwischen aus, von den Lebensmitteln selbst ganz zu schweigen. Kranke Familienangehörige sterben, da überall im Land Medikamente fehlen. Die Trinkwasserversorgung ist so dramatisch, dass sich sogar Coca-Cola  vor einigen Jahren aus dem Land verabschiedet hat. Wenn selbst Coca-Cola Geschäfte zu schmutzig werden, kann man wohl vom Schlimmsten ausgehen. Auch über die Situation in Kolumbien erfahren ich interessante Neuigkeiten und erneut ist es faszinierend zu beobachten, welche Nachrichten auch bis nach Europa dringen und welche nicht. Sicher, dass die FARC-Rebellen sich von einer Paramiliz in eine politische Partei umgewandelt haben ist dem ein oder anderen sicher untergekommen und insbesondere der Anschlag auf eine Polizeiakademie vor wenigen Tagen mit 21 Toten sorgte für einige besorgte Nachrichten von Verwandten und Bekannten. Dass Kolumbien aber zurzeit einen rechtspopulistischen Präsidenten hat, der harte Spar- und Privatisierungsmaßnahmen im Bildungs- und Gesundheitsbereich vornimmt und damit insbesondere die junge Generation gegen sich aufbringt, kommt in den Nachrichten leider nicht mehr vor. Man hat den Eindruck, dass es erst Tote geben muss damit die Nachricht es wert ist, aufgeschrieben zu werden und in der Tagesschau Sendeplätze zu beanspruchen.


Es ist schon paradox: während ich hier in Lima bin, gehen weltweit Schüler auf die Straße und demonstrieren für besseren Klimaschutz. Während ich hier sitze und dies schreibe fällt aber auch mir wieder siedend heiß ein, dass ich um hierher zu kommen drei (!) Flugzeuge bestiegen habe und es werden mehr folgen. Mein Klimabilanz ist erstmal hinüber und wie heißt es so schön - wer im Treibhaus sitzt, sollte nicht mit Steinen schmeißen. Die meisten der hier anwendenden Reisenden sind in meinem Alter, kommen aber aus den unterschiedlichsten Schichten. Während ich dies schreibe, sitzen neben mir ein ehemaliger Koch, eine ausgebildete Krankenschwester und eine Linguistik-Studentin aus drei unterschiedlichen europäischen Ländern. Alle eint die Neugier auf fremde Ländern und der Wille, den anfänglichen Kulturschock hinter sich zu lassen. Wenn ich mir die Leute alle so anschaue, die sich hier so ansammeln bekomme ich tatsächlich ein positives Gefühl für die Zukunft, denn es scheint eine Generation heranzuwachsen, die sich sehr viel bewusster und positiver mit ihrer Umwelt auseinandersetzt. Wäre auch hier nicht diese verdammten Wiedersprüche: von unserer verursachten CO2-Bilanz mal ganz abgesehen, muss man sich schon eingestehen, dass wir Backpacker auch nur am Rande mitbekommen, was in diesen Ländern wirklich los ist. Ich erinnere mich an die endlosen Armenviertel, die ich auf dem Weg vom Flughafen begutachten konnte und es wäre lebensmüde, als Europäer einen Fuß in diese Ecken hineinzusetzen. Auch wenn einem Reiseführer wie der Lonely Planet suggerieren, das „echte“ Peru zu sehen und zu leben wie ein „local“, so muss auch ich feststellen, dass ich in einer wohlbehüteten Blase von vorwiegend Europäern sitze (mit vereinzelten Ausnahmen), in einem überdurchschnittlich wohlhabenden Stadtteil Limas und das Alltagsleben Perus höchstens am Rande mitbekomme. Und dennoch: die Friedfertigkeit und Weltoffenheit unserer Generation rührt sicherlich auch daher, dass man viele Länder bereist hat, die weit außerhalb unseres Kulturkreises liegen. Die vielleicht größte Lehre aus meiner halbjährigen Reise war, dass Menschen Menschen sind, so simpel das auch vielleicht klingen mag. Mit kulturellen Unterschieden im Zusammenleben und alltäglichen Umgang miteinander, aber mit genug universellen Grundüberzeugungen, die einen stutzig machen, warum es immer noch soviel Krieg und Elend auf der Welt gibt. Und Bewegungen wie „Fridays for Future“ machen doch noch mehr Hoffnung, dass die nächste Generation die Alternativlosigkeit unseres derzeitigen Wirtschaftens nicht mehr hinnimmt. In der Tat - auch Länder wie Peru, Kolumbien und alle weiteren Entwicklungsländer Südamerikas gehen nicht rücksichtsvoll mit ihrer Natur um. Die Müllentsorgung besteht meistens dadrin, den Müll zu verbuddeln oder zu verbrennen und das Bewusstsein für diese Probleme mag auch hier im Alltag längst nicht so ausgeprägt zu sein wie bei einem durchschnittlichen Europäer. Das mag auch damit zusammenhängen, dass die Probleme der Menschen hier deutlich andere sind als bei uns im wohlgenährten Europa. Doch umso mehr wäre es die Aufgabe des Westens, sein Ökonomie radikal umzukrempeln, gerade um der restlichen Welt zu signalisieren, dass man mit gutem Beispiel vorangeht und auch später Hilfestellungen gibt, wie man beispielsweise die Müllentsorgung besser in den Griff bekommt. Doch davon können wir wohl zurzeit noch träumen - solange pöbelnde Ex-Kanzler immer noch ungestraft Interviews geben können,  werden ich wohl davon ausgehen müssen, dass meine Wünsche noch eine Weile brauchen, bis sie Realität werden. 

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