Dienstag, 26. Februar 2019

7. The Fucking System

Cusco, das ehemalige Zentrum des Inkareiches, in der die vier Hauptstraßen der Hochkultur zusammenliefen, ist inzwischen zum touristischen Zentrum Perus geworden. Von den stolzen Bauten der Inkas ist bedauerlicherweise nicht viel übrig geblieben, da die Stadt von den spanischen Eroberern dem Erdboden gleichgemacht wurde, nachdem die Ureinwohner einen gewaltigen Volksaufstand wagten. Generell sind die Geschichten der mittel- und südamerikanischen Hochkulturen relativ deprimierend, da sie alle, kurz nachdem sie mit Spaniern in Berührung kamen, innerhalb eines Jahres verschwunden waren. Das Straßennetz der Inkas war bei weitem größer als das der Römer, zusätzlich kannten sie keine Last- und Reittiere und mussten somit alle Strecken zu Fuß erledigen. Bei der Erweiterung ihres Reiches gingen die Inka nicht gerade zimperlich vor. Zwar durften die unterlegene Stämme ihre Bräuche, Rituale und auch ihre Sprache behalten, ihre Religion wurde jedoch mit heftiger Gegenpropaganda niedergemacht und die Söhne des neuen Untertanen wurde nach Cusco geschickt, um sie zu echten Inkas umzuerziehen. Technologisch waren die Inka, trotz fehlender Schrift und mathematischer Fähigkeiten überraschend hoch entwickelt. Ihre architektonischen Leistungen zeugen von ungeheurer Muskelkraft und Ausdauer, doch Eisen, Stahl, geschweige denn Schwarzpulver waren ihnen völlig unbekannt.  Umso mehr kann man sich vorstellen, was für ungleiche Kämpfe es gewesen sein müssen, als General Pizarro im Jahre 1503 mit Pferden und Schussfeuerwaffen auf die zahlenmäßig überlegenen, aber vorwiegend mit Bronze- und Kupferwaffen ausgerüsteten Inka-Krieger stieß und die Kultur beinahe vollständig vernichtete. Schon die Anwesenheit der Pferde, welche die Inka noch nie gesehen hatte, löste schiere Panik in den Reihen der Inka aus. Noch bevor sie direkt mit den Spaniern konfrontiert wurden, hatten sie bereits ihre Krankheiten ereilt und waren durch einen bereits seit Jahren andauernden Bürgerkrieg zwischen zwei rechtmäßigen Thronfolgern zusätzlich geschwächt. Die Rücksichtslosigkeit, mit der die spanischen Eroberer vorgegangen sind, ist bis heute erschütternd. Mit welcher Selbstverständlichkeit man davon ausgegangen war, dass diese neue Welt, auf die man da gerade gestoßen ist, einem gehört. Und umso erstaunlicher ist es, dass die alte Kultur sich weiterhin großer Beliebtheit erfreut, sowohl unter den Touristen, als auch in der peruanischen Bevölkerung. Generell ist man hier ein wenig spiritueller als in Deutschland, naturverbundener. Und Pizarro ist heute kein kriegerischer Eroberer mehr, sondern ein gefeierter Fußballer, auf den ich häufig angesprochen werde. 
Ein Schweizer meinte bereits in Lima zu mir, dass er sich in Cusco wie zuhause gefühlt hat, wusste er doch nie, ob er sich warm oder kalt anziehen sollte. Die Regenzeit sorgt für unvorhersehbare und sehr plötzliche Wolkenbrüche, die kurz darauf wieder von der strahlenden Sonne abgelöst werden. Auf dem Plaza del Major bieten einem wildfremde Frauen spontane Massagen an und grinsen einen dabei so keck an, dass ich mir nicht genau sicher bin, ob es sich dabei um die einzige Dienstleistung handelt. Andere drücken mir ungefragt Baby-Alpacas in die Hand um mit dir ein Foto zu machen (gegen Geld, versteht sich), Kunsthändler bieten  ihre gesammelten Werke an und wenn das nicht fruchtet, wird mir in mysteriösem Flüsterton Gras oder Kokain unter die Nase gehalten. Die Stadt ist durch und durch touristisch erschlossen und, vielleicht genau deshalb, fühle ich mich hier so wohl und gut aufgehoben. Das Hostel in dem ich wohne wurde mir bereits vorab von einer Freundin empfohlen. Es liegt auf einem Berghang, etwas außerhalb des touristischen Zentrums aber auf dem Gelände der alten Inkastadt. Es gibt einen großen Garten, drei Katzen, vier Kaninchen, zwei Hähne und ein undurchschaubares Sozialgefüge innerhalb des Hostels. Auch am Tag fünf habe ich immer noch nicht ganz durchschaut, wer von den regelmäßig ein- und ausgehenden Menschen hier nun wirklich wohnen oder einfach nur von Außerhalb gerne zum Chillen vorbeikommen. Der harte Kern des Hostels bilden eine Reihe von noch härteren Reisenden mit ungemein interessanten Biographien. Ein älterer Peruaner feierte letztens sein 20-jährigs Jubiläum, seit 1999 is er unterwegs. Arbeiten tut er als Informatiker und benötigt dafür lediglich seinen Laptop und eine einigermaßen stabile Internetverbindung. Ein älterer Amerikaner genießt nun seine Rente in Südamerika, nachdem er 40 Jahre als Elektriker in Pennsylvania gearbeitet hat. Das Leben hier liege ihm mehr, meint er, außerdem reiche seine Rente gerade mal für Essen und Trinken, würde er weiterhin in Amerika wohnen bleiben. Jetzt genießt er seinen Lebensabend mit seinen drei Katze im Hostel und bietet geführte San Pedro Trips an (der Wirkstoff ist auch als Meskalin bekannt). Insbesondere im Gespräch mit Amerikanern fällt mir ein großer Unterschied im Vergleich zu vier Jahren. Generell sind die Amerikaner, die man außerhalb Amerikas trifft politisch und geographisch sehr gebildet, anders als der allgemein Stereotyp, den man ansonsten erwartet. Waren vor vier Jahren noch viele Amerikaner einigermaßen skeptisch, was ihr Heimatland betrifft, scheint die Wahl Donald Trumps die Vaterlandsliebe vieler US-Bürger schwer erschüttert zu haben und viele sehen die Demokratie in den USA beschädigt. Häufig bekomme ich zu hören, dass viele Leute mit dem Gedanken spielen, das Land zu verlassen und nach Europa zu kommen. Eine etwas unangenehme Situation ereignet sich, als mich zwei Amerikaner in den Gassen nach einer Unterkunft fragen. Ich führe sie selbstverständlich zu meinem Hostel und freue mich schon, ein paar mehr englisch-sprechende Menschen da zu haben. Auf der Terrasse beginnt einer der Neuankömmlinge einen langen Vortrag über Ufos, Chemtrails und „the fucking system, that observates every fucking human being in the fucking world“. Will fragt vorsichtig nach, ob er es denn für erwiesen hält, dass die Erde flach ist, aber die Spitze wird gekonnt überhört. Bedauerlicherweise fällt Will aber noch ein, dass die beiden freien Betten ja bereits vorreserviert wurden und die beiden Nervensägen ziehen von dannen. 

In der Nachbarschaft gibt es ein wunderbares veganes Restaurant, in dem ich mich täglich zum Schreiben und Mittagessen zurückziehe und mein Lob, der Ort erinnere mich sehr an Berlin, kommt beim Personal gut an. Er ist bemerkenswert, wie sehr sich die jungen Generationen angleichen. Mit den jungen Peruanern kann ich mich meistens wunderbar auf Englisch verständigen, wir feiern die selben Bands und gucken die selben Filme. In meinem Hostel wiederum ist die Amtssprache Spanisch, da es vorwiegend von Native Speakern bewohnt wird. Das spanische Spanisch ist eine Herausforderung sondergleichen, schließlich sprechen Sie wahnsinnig schnell. Das peruanische Spanisch ist deutlich langsamer, wird dafür aber mit Fremdwörtern angereichert, auf die Google Translate keine Antwort weiß. Somit verbringe ich die ersten Abende mit geschlossenem Mund und offenen Ohren und versuche, zumindest grundlegend zu verstehen, worum es in den Gesprächen geht. Ich antworte meistens auf Englisch, wenn das Wort an mich gerichtet wird, da es mir zu unangenehm ist, solchen Runden meine grottige Grammatik zu offenbaren. Bis jetzt gelingt mir kein einziger Satz ohne Fehler, von zufälligen Außnahmen einmal abgesehen. Da ich die Sprache mehr oder weniger beim zuhören und nachsprechen gelernt habe (obwohl „gelernt“ schon sehr schmeichelhaft ist) fehlt mir jeglicher grammatikalischer Unterbau. Die Schnelligkeit des hier gesprochenen Spanischs überfordert mich anfangs noch sehr, aber tatsächlich wird es von Tag zu Tag einfacher, mindestens das Thema herauszuhören. Sehr hilfreich ist vor allem, dass man hier gerne zusätzlich szenisch darstellt, was man gerade erzählt. Dennoch ärgere ich mich, mich nicht intensiver um einen Sprachkurs gekümmert zu haben, bevor ich abgereist bin. Die wirklichen Feinheiten bekommt man natürlich nur dann mit, wenn man die Landessprache einigermaßen beherrscht. Es soll zwar Leute geben, die lediglich durch Zuhören innerhalb sehr kurzer Zeit Sprachen flüssig beherrschen. Vielleicht war dies die bis jetzt größte Erkenntnis meiner Reise - zu diesen Leuten gehöre ich offenbar nicht.7

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