Dienstag, 12. Februar 2019

5. Europäische Arroganz

Es ist einer dieser Tage, in denen mir Südamerika fürchterlich auf die Nerven geht. Ich laufe wie von der Tarantel gestochen durch Puno und suche eine Western Union Filiale. Durch eine ungünstige Verkettung von Umständen wurde meine Visa-Karte gesperrt und als einzigen Ausweg bleibt da nur der Transfer von Bargeld zu einem schlechten Kurs. Doch so einfach wie es sich anhört ist es gar nicht. Zwar haben einige Läden Western Union Schilder draußen hängen, innen drinnen aber schütteln sie nur den Kopf. Ich werde 1 1/2 Stunden lang quer durch die komplette Stadt gejagt und verliere langsam den Verstand. Einer behauptet sogar, dass es in ganz Puno keine Western Union Filiale gibt, eine andere ist sich ganz sicher, dass an der Ecke da drüben auf jeden Fall eine sein müsste. Nichts davon ist wahr und die Erfahrung hatte ich bereits vor vier Jahren in Mexiko gemacht, dass man auf das Wort der Leute nicht all zu viel geben sollte - fragt man Passanten nach der Richtung, sollte man immer drei Leute befragen und sich dann für die Mitte entscheiden. Auch hier fällt mir die Ruppigkeit der Peruaner auf, insbesondere im Vergleich zu meinen Erfahrungen in Kolumbien. Ich werde teils sehr schroff abgewiesen, meine Bitten, ein wenig langsamer zu sprechen, wird nicht nachgekommen. In solchen Stresssituationen wie diesen fällt es wahnsinnig schwer, nicht in europäische Arroganz zu verfallen. Wie gut doch bei uns alles funktioniert, wie gut strukturiert es bei uns zugeht. Moderne Hilfsmittel wie Google Maps helfen einem hier nicht weiter oder lassen dich völlig ins Leere laufen. Zu allem Überfluss ist auch noch Karneval, die Stadt ist also völlig verstopft, teilweise abgesperrt und wahnsinnig laut. Die bunten Kostüme sind wunderschön, die tanzenden Menschen sind es auch, aber leider erreicht mich die Schönheit der Umzüge am heutigen Tage nicht. Als Berliner bin ich was Karneval anging weitestgehend verschont geblieben und alles, was ich bish darüber gehört hatte klang für mich immer so, als würde ich es für kurze Zeit ganz witzig finden und wäre dann schnell genervt. Dasselbe kann ich für den südamerikanischen Karneval sagen. Die tanzenden und singenden Menschen auf der Straße sind für einen gewissen Moment beeindruckend, doch die tosenden Trompeten und stampfenden Trommeln sind derartig monoton und laut, dass ich schon nach kurzer Zeit genug davon habe. Insbesondere, wenn man eigentlich eine verdammte Western Union Filiale sucht. Schreiende kleine Kinder rennen durch die Gegend und spritzen sich mit Kunstschaumpistolen gegenseitig ab. Eines der Kinder erwischt mich ebenfalls und ich gucke leicht genervt zu den Eltern, die damit aber offensichtlich kein Problem haben. Generell ist die Schwelle der Rücktsichtnahme hier anders gesetzt als in Deutschland und weiten Teilen Europas. Es ist für niemanden ein Problem, wenn Menschen in vollbesetzten Nachtbussen laut über ihre Bluetooth-Box Musik hören, auch wenn alle Menschen drumherum nicht mehr schlafen können. Wenn ich eine älteren Dame beim Karneval die Sicht versperre, stößt sie mich rigoros mit ihrem Regenschirm beiseite. Es sind diese Momente, wo ich, trotz aller Liebe zu diesem Kontinent feststelle, dass ich doch ganz gerne in Deutschland wohne und wohl auch erstmal bleiben möchte. 
Vielleicht bin ich aber auch noch zu beseelt von meinem Naturerlebnissen, welche ich das Wochenende davor hatte. Drei Tage bin ich durch den Colca Canyon gewandert, an meiner Seite Fabio, den ich im Hostel in Arequipa kennengelernt hatte. Da wir beide begeisterte Chorsänger sind, hatte wir schnell eine gemeinsame Verbindung - von der Tatsache abgesehen, dass wir beide perfektes Deutsch sprechen. Von Cabana Conde ging es zunächst weitestgehend bergab, die erste Nacht verbrachten wir in einer kleinen Berghütte unmittelbar über dem Fluss, der durch die gerade begonnene Regenzeit viel Wasser mit sich trug und einen gewissen Lautstärkepegel unter jede Unterhaltung gelegt hatte. Am zweiten Tag machen uns sowohl das Wetter als auch  die Nebensaison einen Strich durch die Rechnung, denn das Dorf, dass wir uns zum Übernachten ausgesucht hatten, ist völlig verwaist und das Hostel dementsprechend nicht besetzt. Der langsam einsetzende Regen zwingt uns dazu, die Route zu ändern und nicht die Wasserfälle anzugucken, die wir uns eigentlich vorgenommen hatten. Wir wandern also weitere sieben Kilometer durch den Canyon, zunächst angenehm geradeaus, um dann den finalen Abstieg in die Oasis vorzunehmen. Der dritte Tag ist zwar der kürzeste Wandertag, doch die Etappe hat es in sich. Wir wandern zwar nur 3 Kilometer, legen in dieser Zeit aber stolze 1000 Höhenmeter hinter uns. Ich stoße mehrmals, mit Muskelkater und Blasen an den Füßen, an die Grenze meiner Belastungsfähigkeit und verfluche den verdammten Canyon lautstark, bis ich endlich die letzten Stufen erklimme und mir das letzte Mal das atemberaubende Bergpanorama gebe. Ich verabschiede mich von Fabio und fahre mit zwei sehr alten, aber auch sehr günstigen Bussen durch die Anden in Richtung Puno. Zunächst werde ich mitten im Nirgendwo abgesetzt und stehe auf einem riesigen Plateau inmitten von schneebedeckten Bergen, bis ich den richtigen Bus mit meinem Daumen herauswinke. So schnell und unkompliziert bin ich nie von A nach B, bzw. von Cabana Conde nach Puno gekommen

Die Stadt ist wirklich nicht hübsch, das wurde mir davor schon gesagt, aber sie ist ein guter Ausgangspunkt für schöne Erkundungstouren über den Titikaka-See, der höchstgelegene befahrbare Süßwassersee der Welt. Insbesondere die schwimmenden Insel der Uros möchte ich mir sehr gerne angucken, ein Indianervolk, das sich zum Schutz vor den angreifenden Inkas auf künstliche Schilfinseln zurückgezogen hat und inzwischen vom Tourismus lebt. Zu meinem großen Entsetzen muss ich auch hier feststellen, dass die Wasserqualität des Titikaka-Sees in einem grausamen Zustand ist. Die Silber- und Erzminen, die es früher hier zu Hauf gab, haben ihre gesamten giftigen Abwasser schonungslos in den See gespült. Am Hafen sehe ich, wie reihenweise Plastiktüten- und Flaschen am Ufer vor sich hin treiben. Baden ist also eher nicht. Schade. Hoffentlich fall ich morgen nicht vom Boot. 

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