Freitag, 8. Februar 2019

4. No Belts allowed

Es ist frisch in Arequipa. Während ich diese Zeilen schreiben, sitze ich in meinem Poncho eingepackt auf der Terrasse meines Hostels, in welches ich mir hier einquartiert habe. Die Stadt liegt tief in den Bergen auf 2000 Metern Höhe. Im Gegensatz zur Metropole Lima ist die Stadt verhältnismäßig klein. Nicht einmal eine Million Menschen wohnen hier, dennoch ist die Stadt die zweitgrößte des Landes. Es geht deutlich ruhiger zu als in Lima, die Stimmung und die milden Temperaturen erinnern mich sehr an San Christobal in Mexiko. Die Regenzeit zeigt sich von seiner hartnäckigen Seite und die immer wieder einsetzenden Regenergüsse testen die Überlebensfähigkeit meines mexikanischen Wunderstoffes. Doch selbst bei strömenden Regen tut der Poncho noch seinen Job und hält mich wohlig warm.
Was ich an südamerikanischen Großstädten so liebe: die interessantesten Sachen entdeckt man eigentlich immer dann, wenn man einfach so, ohne Plan durch die Gegend läuft. Vor meiner 14-stündigen Busfahrt von Ica nach Arequipa war ich aufgrund der zweistündigen Verspätung gezwungen, mich noch ein wenig in Ica umzuschauen. Davon ganz abgesehen, dass die Stadt nicht sonderlich hübsch ist, habe ich dennoch nach zwei Stunden durch die Gegend das Gefühl, mehr peruanisches Leben in mich aufgesogen zu haben als durch irgendeine vorgefertigte Stadtführung. Schon die Menschen auf dem großen Plaza des Armas (den es übrigens gefühlt in jeder Stadt hier gibt) zu beobachten erzählt mir mehr als jedes Museum oder noch so gut geführte Tour der Welt. Ich wohne sehr kurz einem Gottesdienst bei und spüre seit Jahren mal wieder etwas wie Religiosität in mir aufkommen. Und auch hier in Arequipa erlebe ich die witzigsten Situationen beim Zigaretten kaufen. Die Stadt ist an diesen Tagen sehr voll, der chilenische Fußballclub Universidad de Chile ist zu Gast, um das erste von zwei Spielen um die Qualifikation zur Copa Libertadores, der südamerikanischen Champions League auszutragen. Der Lokalclub, der FCB Melbar de Arequipa gilt zwar nicht als die fußballlerische Perle des Landes, hat aber die letzte Saison überraschend auf dem zweiten Platz abgeschlossen. Aus historischen Gründen sind die Chilenen im Rest Südamerikas allerdings nicht sonderlich beliebt, insbesondere bei den Peruanern ist eine gewisse Ablehnung der chilenischen Gäste zu spüren. In der Stadt gibt es immer wieder kleinere und größere Rangeleien zwischen den rivalisierenden Fangruppen und die Polizei hat alle Hände voll zu tun, die temperamentvollen Streithälse voneinander zu trennen. Kein Grund für mich, mir nicht sofort ein Ticket für das Spiel zu kaufen. Aus Platzmangel (die Sicherheitsauflagen sehen vor, dass die Fanlager weit voneinander getrennt sind, weshalb viele Plätze unbesetzt bleiben) bin ich gezwungen, eine Karte im chilenischen Block zu kaufen. Meine neuen besten Freunde aus dem Hostel sind anfänglich noch dabei, wollen dann aber doch nicht mitkommen, weshalb ich kurz darauf alleine Richtung Stadion losstapfe. Bei der Einlasskontrolle muss mein Gürtel leider draußen bleiben, der Sicherheitsmann erklärt mir mit einer entsprechenden Handbewegung, dass diese in peruanischen Stadien gerne als Peitsche missbraucht werden. Ich schließe meinen Gürtel also am Zaun des Stadions fest und vergesse natürlich später beim Auslass, ihn wieder abzuholen. 
Das Spiel beginnt zäh, die peruanische Heimmannschaft startet als klarer Außenseiter gegen die nominell sehr viel stärkeren chilenischen Hauptstädter. Melbar stellt gut die Räume zu und hat zweimal Glück, als Universidad seine wenigen offensiven Aktionen schlampig ausspielt und den Ball am peruanischen Tor vorbeischlägt. In der 50. Minute gelingt den Peruanern ein etwas glückliches Distanztor, was ich leider nicht mitbekomme, da ich mir genau in dem Moment eine Zigarette anzünde. Die Stimmung im chilenischen Block wird allmählich gereizter und die Polizei fängt prophylaktisch schon einmal an, einige der Fans durch die Gegend zu schubsen. Ich suche Schutz und gerate in eine Gruppe Chilenen, die glücklicherweise ein wenig Englisch sprechen und zurzeit in Arequipa einen Freiwilligenjob über ihre Uni machen. Mit ihnen schaue ich mir an, wie Universidad kurz darauf einen Handelfmeter zugesprochen bekommt und ihn unter lautem Getöse  der peruanischen Fans in den Nachthimmel schießt. Der Favorit kommt daraufhin überhaupt nicht mehr zu seinem Spiel, FCB Melbar spielt die restliche halbe Stunde souverän hinunter und hat sogar noch einige Gelegenheiten, den Sack zu zu machen. Auch die hektische Schlussoffensive der Chilenen bringt keinen Ertrag und die peruanischen Fans fangen bereits an, ausgelassen zu feiern. Den Schlusspfiff bekomme ich nicht mehr mit, da meine chilenischen Freunde mir raten, lieber ein wenig früher zu verschwinden, um nicht den Gefühlsausbrüchen der unterlegenen Chilenen beiwohnen zu müssen. Fußball in Südamerika ist tatsächlich jedem zu empfehlen, die Stimmung auf den Rängen ist nicht mit europäischen Maßstäben zu messen. Da die Fans durchgehend singen, kann ich bereits nach zehn Minuten mit einsteigen und rücke mir den Text so zurecht, dass zumindest nicht auffällt, dass ich nur die Hälfte des Inhalts verstehe. 
Das Leben in Arequipa geht still und ruhig vor sich hin. Die Stadt, die auch weiße Stadt genannt wird, hat erst kürzlich von der UNESCO den Status des Weltkulturerbes zugesprochen bekommen. Traurig ist allerdings der Grund, weshalb die Stadt als „weiß“ bezeichnet wird: die erste, harmlosere Erklärung geht auf die Farbe der Häuser zurück, deren Lavagestein der Stadt seine Farbe verliehen hat. Die zweite Erklärung: da die Stadt bis weit ins 19. Jahrhundert ausschließlich europäischen Siedlern vorenthalten und für Peruaner verboten war, war der Begriff bereits in der Alltagssprache populär, bevor man den innerstädtischen Rassismus aufhob und die erstgenannte, etwas harmlosere Erklärung aus dem Boden stampfte. 

Einen interessanten Unterschied konnte ich bereits feststellen: davon abgesehen, dass die Peruaner sehr nuscheln und ich mit meinem langsam besser werdenden Spanisch meine einige Mühe habe hinterherzukommen, ist doch auffällig, dass die Menschen hier deutlich reservierter und zurückhaltender sind als beispielsweise in Kolumbien. Das hat seine Vor- und Nachteile: die Marktschreier hier, die dir das beste Hostel, das beste Essen oder die beste Tour anbieten wollen, treten nach einem freundlichen „Gracias“ sofort zurück, in Kolumbien hätte ich das Gracias, energetisch steigernd, mindestens dreimal wiederholen müssen. Die Leute sind zwar interessiert, aber der spontane Smalltalk auf der Straße, mit dem ich vor vier Jahren beinahe täglich konfrontiert war, entfällt hier fast vollständig. Sich außerhalb seiner Hostelfreundesblase zu bewegen wird dadurch sehr viel schwieriger und ich merke bereits, wie mein Englisch erneut große Sprünge macht, mein Spanisch aber auf einem mickrigen Niveau verharrt. Auch hier gibt es einen Unterschied zwischen Peru und Kolumbien festzustellen. Hatten in Kolumbien die Leute noch auf meinen Hinweis, sehr schlecht Spanisch zu sprechen noch mit Ablehnung und überschwänglichen Lob für meinen Sprachkenntnisse reagiert, nicken die Leute hier nur schief lächelnd mit dem Kopf. Aber das ist wenigstens ehrlich. 

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