Sonntag, 29. März 2015

31. und letzte Etappe - Bogotá


Lebewohl, kleine Gitarre. Schon die Dame beim Check-In machte mich freundlich darauf aufmerksam, dass Gitarren nicht mit reingenommen werden dürfen. Trotz meiner Aussage, Gitarrist zu sein und bei Rammstein zu spielen, bleibt sie hartnäckig, lässt mich aber zumindest zur Gepäckkontrolle vor und ich bete, dass der Dame beim Gate die Gitarre egal ist und Rammstein kennt.
Aber leider hier auch nichts, sie spricht in schnellem Spanisch auf mich ein, lässt sich nicht von meinem Geflehe beeinflussen. Ich wiederhole nochmal, auf schlechtem Spanisch, bei Rammstein Gitarre zu spielen, woraufhin sie mich mit großen Augen anguckt. Rammstein kennt hier einfach jeder. Sie wird kleinlaut und entschuldigt sich, so seien nunmal die Vorschriften und pipapo, woraufhin ich sie leichthin frage, ob sie einen großen Mülleimer bereitsstehen hat. Davon ist sie wiederrum völlig perplex und kann es nicht fassen, als ich ihr wortlos die Gitarre in die Hand drücke und vorbeigehe. Zu einer wirklichen Diskussion bin ich leider nicht fähig, da mein Spanisch dafür viel zu schlecht ist und hier am kleinen Provinzflughafen von Pereira Keiner Englisch spricht. Es heißt zwar offiziel "Internation Airport", aber das ist leicht übertrieben, da der einzige internationale Flug nach Panama-City geht. Aber es nimmt ein gutes Ende, kurz bevor zum Boarding aufgerufen wird, kommt die Dame zu mir und gibt mir unter dem Hinweis, ihren Namen bei eventuellen Nachfragen nicht zu nennen, die Gitarre in die Hand. Als ich ihr wenige Minuten später mein Ticket gebe, drücke ich ihr noch ein eilig hingekritzeltes Autogramm in die Hand um meinen Rockstar-Ruf gerecht zu werden und sie wird fürchterlich verlegen. Bleibt nur noch zu erwähnen, dass ich Rammstein nicht mal sonderlich mag (abgesehen von den Texten).
Home sweet home
Der Flug ist relativ kurz, der Start dauert etwa zwanzig Minuten und ich packe den Laptop aus, um etwas weiter zu schreiben, doch nach zehn Minuten ist der Spaß wieder vorbei, da der Landeanflug beginnt und um die Flugzeit auf eine knappe Stunde abzurunden, dreht die Maschine noch ein paar Ehrenrunden über Bogota, bis sie sicher auf dem Flugfeld aufsetzt. Es ist ein witziges Gefühl, über zwei Monate nach meiner ersten Ankunft in Bogota, wieder hier zu sein und frohen Mutes gehe ich zum Taxistand. Andrea hatte mir geschrieben, dass ihre Wohnung nicht sehr weit weg ist und die Taxis ziemlich günstig sein sollten. Der erste Preis, der mir aber angeboten wird liegt bei 30.000, soviel habe ich in etwa auch gezahlt, als wir ins Zentrum gefahren sind und ich lege mit dem Verhandeln los. Jetzt wo Emilia und damit die spanisch begabteste von uns weg ist, liegt es nur an mir, mich irgendwie die letzten Tage durch dieses Land zu schlagen und ich handel das Taxi erfolgreich auf 22.000COP herunter (was, wie mir nachher erzählt wird, immer noch viel zu viel ist). Der Taxifahrer ist nun gezwungenermaßen sehr freundlich zu mir, da er ein bisschen Englisch kann, wird die Konversation noch einfacherer, da ich ihn nach spanischen Wörtern fragen kann, die mir fehlen. Wir kommen an einer wohl gepflegten Wohnanlage, mit Sicherheitszaun und eigenem Wachmann an, der mir die magnetisch verschlossene Tür öffnet. Andrea sei gerade außer Haus, ich kann hier aber einfach warten. Ich wechsel ein paar Sätze mit dem jungen Security Typen und staune über mich selber, wieviel ich doch sprechen und verstehen kann. Nach einiger Zeit kommt Andrea wieder zurück, mit in der WG wohnt noch ihre jüngere Schwester Marcel und Javier, auch wenn die beiden zurzeit tierischen Stress zusammen haben. Javier spricht gutes Englisch, Andrea nicht so wirklich und Marcela praktisch gar nicht. Aufgrund dieser Tatsache einigen wir uns, in der Wohnung hauptsächlich Spanisch zu reden und nur im Notfall auf Englisch zurückzugreifen. Trotz meiner Sprachbarriere läuft das ganze ziemlich gut und schon bald bin ich zumindest fähig, mit Marcela, die Philosphie studiert, über die Frankfurter Schule bzw. Scola de Frankfurt zu diskutieren. Nagut, ich höre meistens zu und versuche irgendwie mitzuhalten. Nach der langen Reise bin ich relativ müde und falle bald ins Bett.
Plaza Bolivar
Musicology
Am nächsten Morgen, nach einem kurzen Frühstück, radel ich mit Andrea zu ihrer Uni in der Innenstadt. Es ist weiterhin relativ kühl hier in Bogota, aber ich freue mich enorm, wieder hier zu sein. Nach zwei monatiger Abstinenz fühlt es sich ein bisschen wie zuhause an. Ich laufe durch die Candelaria, das Viertel, dass einen Monat lang mein Zuhause war und besuche das Musicology. Sami, die Managerin, freut sich sehr mich zu sehen, lädt mich ein, hier gerne zu bleiben und ich frage sie einfach mal ins Blaue hinein, ob sie Arbeit für ein paar Tage hätte. Sie überlegt und will mir eigentlich eine Mail schreiben, aber auf diese Warte ich bis heute. Ich verbringe einen schönen Nachmittag in der Hostelbar, quatsche mit ein paar Leuten und fahre dann am Abend mit Andrea zurück nach Hause. Bei allen WG-Bewohnern stehen gerade die Prüfungen auf der Agenda, deshalb haben sie nicht viel Zeit und auch keine Kraft mehr, am Abend was zu unternehmen. Glücklicherweise sind sowohl Andrea als auch Marcela große Horrorfilmfans, genau wie ich und wir ziehen uns einen unterhaltsamen Streifen rein.
Den nächsten Tag mache ich mehr oder weniger blau, koche für die abwesende WG ein leckeres Essen, spiele ein bisschen auf der geliebten Gitarre, höre mir die neue Muse-Single an und gehe noch am Abend mit Marcela und Andrea was essen. Der Freitag naht, mein letzter Abend in Bogota und etwas ohne mich mit den anderen vernünftig abzusprechen ziehe ich für den letzten Abend ins Musicology um. In meiner letzten Nacht will ich lieber ein paar Leute um mich rum haben, als in der vollbeschäftigten WG zu sitzen. Als ich ankomme, ist das Hostel aber leider komplett ausgebucht. Sami gewährt mir aber für sehr wenig Geld einen Platz auf dem Sofa im Fernsehraum und ich stelle meine Sachen ab. Und wie es das Schicksal will, treffe ich im Hostel ein paar Berliner, die nur ein paar Straßen von mir weiter wohnen. Wir verstehen uns prima, die drei sind ein ziemlich verrückter Haufen und, zu meiner großen Überraschung läuft mir auch noch Rob, ein Engländer wieder über den Weg, mit dem ich hier schon im Januar eine lustige Zeit hatte. Wir planen durch, was wir am Abend machen wollen. Einige wollen ins "Baum", gegründet von einem alten Berliner DJ, doch auf Techno hab ich noch nie so gestanden und der Eintrittspreis von 50.000COP ist mir sowieso viel zu hoch. Überraschend taucht Andrea mit Marcela auf und fragt mich, ob ich nicht heute Abend mit ihnen feiern wolle. Sie kennen einen ganz coolen Club etwas weiter in der Innenstadt, das Theatron, der zumindest mit der Tatsache wirbt, dass er über 10 Floors hat und man mit dem Eintrittspreis von 30.000COP im ganzen Club Freigetränke bekommt. Das klingt verlockend und einem quasi verordneten Besäufnis und ich sage selbstverständlich zu. Ohne mich auch nur annährend schick zu machen, nach Berliner Art eben, fahre ich mit dem Taxi vor. Eine halbe Stunde warte ich in der Kälte und verfluche die kolumbianische Unpünktlichkeit. Ich bin etwas angesäuert, als die beiden, für meine Augen schon ziemlich aufgetakelt, ankommen und wir stürzen uns ins wilde Nachtleben, in welchem ich erneut feststelle, dass die beiden überhaupt nicht aufgetakelt sind. Hier gelten andere Maßstäbe.
Theatron
Der Abend wird fantastisch, wir tanzen die ganze Nacht, ich wage ein paar vorsichtige Salsa-Schritte und singe zum krönenden Abschluss "Hey You" von Pink Floyd Karaoke. Als erster Preis winken 100.000 COP, aber es gilt die alte Regel Sex Sells. Eine junge Dame zieht eine einzige Shakira-Cover Show ab, mit Arsch-wackeln und dem ganzen Programm. Allerdings ist sie potthässlich, auch nach einigen Drinks und etwas neidisch beobachte ich aus sicherer Entfernung vor den anderen, völlig betrunkenen Feierwütigen, wie sich die Dame mit fürchterlich inszenierten Lächeln und Kussmund ihr Preisgeld abholt. Die Party wandelt sich zum Schluss in eine große Schwulen Party, als die paar Schwulen-Floors über die Ufer treten und in den ganzen Club ausschwärmen und ich habe eine liebe Mühe damit, mich irgendwie heterosexuell zu verhalten.
Aufgrund von Faulheit und vermutlich auch zuviel Alkohol schließe ich mich Andrea und Marcela später in ihrer Taxifahrt nach Hause an, zahle die 10.000COP für meinen gemütlichen Sofa-Platz also völlig umsonst, habe dafür aber wieder ein eigenes Bett und falle ziemlich prompt in tiefen Schlaf.

Als ich die Augen öffne, ist die WG mal wieder verlassen. Wer feiern kann, kann auch Samstag zu Vorlesungen gehen und ich sammel meine sieben Sinne langsam wieder zusammen. Zum Glück haben wir uns alle in der gestrigen Nacht mehrmals und unnötig emotional voneinander verabschiedet, für den Fall, dass wir uns am morgen nicht mehr sehen und im Nachhinein war das gar keine dumme Idee.
Ich fahre mit dem Bus zurück in die Innenstadt zu meinem Hostel. Die drei Deutschen scheinen auch eine gute Nacht gehabt zu haben, genauso wie Rob, eigentlich wie ziemlich jeder andere in dem Hostel. Es herrscht überall eine kräftige Katerstimmung und passt damit super zu meine Gemütslage. Ein letztes Mal gehe ich einkaufen und koche mir in der Hostelküche ein einsames Mittagessen. Bordkarte ist ausgedruckt, der Flieger ist diesmal auch nicht spontan umgebucht worden und es kann eigentlich nichts mehr schiefgehen. Nun ist es wohl soweit, Lebewohl zu sagen. Ich umarme meine Hostelkollegen, knuddel den kleinen, witzigen Kater und schulter meinen Rucksack. Ein Taxi wäre mir zu teuer und auch nicht nah genug dran am Leben, also nehme ich den etwas umständlicheren, aber auch schöneren Weg mit den Bussen und eh ich mich versehe, stehe ich im Flughafen. Mein Flug geht über Madrid, wo ich noch fünf Stunden Aufenthalt hab und wie durch ein Wunder ist mir erst vor einigen Stunden aufgefallen, dass eine Freundin von mir dort gerade ein Auslandsjahr macht, mit der ich mich noch in Madrid treffen werde. Zufälle gibt's halt.
Es wird für mich nochmal spannend, nicht nur wegen der Gitarre, sondern auch wegen einer Ausreisesteuer, die wohl 25$ beträgt, aber in einigen Flugtickets schon enthalten ist. Iberia ist nicht die allerbeste Airline, aber zu meiner großen Überraschung muss ich nichts mehr draufzahlen. Die Gitarre wird nicht weiter beachtet, als ich mein Gepäck aufgebe und eine Menge Anspannung löst sich. Ich hab noch genug Geld, um mir eine große Flasche Aguadiente und kolumbianische Zigaretten zu kaufen. Jauchzet, frohlocket.
Plaza Las Aguas
Doch schon nach dem Check In habe ich ihn wieder, diesen ekligen, riesigen Kloß in meinem Hals. Nicht heulen, denke ich mir. Das wär super peinlich, hier am Flughafen und dann noch alleine. Ich reiße mich lange zusammen, stelle mich in die Schlange zur Gepäckkontrolle und bringe sogar ein gequältes Schauspieler-Lächeln zustande. Dann die Ausreisekontrolle. Der Beamte schaut lange meinen Pass an und stempelt ihn mit einer grausamen Brutalität, woraufhin bei mir alle Dämme brechen. Heulend nehme ich meinen Pass entgegen, stammel ein paar Entschuldigungsfloskeln und setze mich in die Wartehalle, wo ich aber feststelle, nicht der einzige zu sein, der gerade kurz peinlich ist. Eine Menge Leuten heulen hier, manche auf Spanisch, manche auf Portugiesisch, sogar ein paar auf Deutsch und ich fühle mich nicht mehr ganz so bescheuert.
Und dennoch. Hier endet es nun also. Alles. Ein halbes Jahr voller Spaß und Abenteuer, witziger Menschen, wunderschöner Natur, vielen tollen Geschichten und einzigartigen Momenten. Die USA, Mexiko, Kuba, Kolumbien. In sechs Monaten.
Es wird zum Boarding aufgerufen und die kleine Gitarre kommt unbehelligt an Bord.
Die Maschine rollt auf die Startbahn. Die Triebwerke zünden.
Wir heben ab und ich war dann mal weg.

Ende


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Liebe Verwandte, Freunde, Bekannte, Unbekannte, kurz: liebe Blogleser,

es hat mir sehr viel Spaß gemacht über das letzte halbe Jahr diesen Blog zu führen und ich war immer wieder überrascht und auch ein bisschen stolz, wie viele sich meine spaßigen Abenteuer durchgelesen haben.
Danke an Nikolaus und Emilia für ihre Gastbeiträge und alleine dafür, dass es sie gibt. Ohne die beiden wären die Reise in dieser Form nicht möglich gewesen.

Der Blog wird in Kürze von Nikolaus mit seinen weiteren Geschichten aus Venezuela weitergeführt. Es ist also noch nicht das Ende.
Danke an alle Leser fürs Teilen, für Werbung machen und die viele Zeit, die ihr mit dem Lesen geopfert habt.
Bis bald

Paul

1 Kommentar:

  1. Hallo Paul,
    ich bin zu Tränen gerührt über deine emotionalen Zeilen.Soooooooo gerne habe ich die "Zeit geopfert" um deine wunderbaren Beobachtungen zu lesen.Wie schön,du deinen Abschied beschreibst.Diese Reise hat euer Leben bereichert,denn auch DU hast deinen Beitrag geleistet um gemeinsam so viel Neues zu entdecken und Nikolaus ist sicher dankbar,dich als Freund zu haben.Wir beide kennen uns nicht,aber aus seinen Erzählungen habe ich das oft herausgehört.Erhalte dir diese Kostbarkeit eurer Reise und fühle Dankbarkeit für eure Bewahrung .....
    Tschüss von Gila (Oma von Nikolaus)

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