Mittwoch, 11. März 2015

29. Etappe - Manizales/St. Rosa

Es ist bereits dunkel, als wir die Stadt erreichen. Im Internet hatte ich davor noch einen Campingplatz ausfindig gemacht und mir die Adresse aufgeschrieben. Emilia hatte in ihrem Lonely Planet (den sie vorher in Medellin heimlich mitgenommen hat) ein paar Hostelempfehlungen gefunden, diese sind aber relativ teuer und außerdem ziehen wir inzwischen Hängematten und im Freien Schlafen deutlich einem langweiligen Bett vor. Wir zeigen einem der Taxifahrer die Adresse, er kratz sich verwundert am Kopf und befragt insgesamt fünf weitere Taxifahrer, ob sie wissen, wo das ist, bzw. ob dort wirklich ein Camping Hostel mit dem Namen "Base Camp" zu finden ist. Dem Fünften ist die Frage relativ egal und er fährt uns kompromisslos zur Adresse, bloß dass dort nichts ist, was irgendwie an einen Campingplatz erinnert. Tripadvisor kann man einfach nicht trauen.
Manizales
Notgedrungen lassen wir uns zum Mountain Hostel fahren, das mit 20.000COP über unserem Budget liegt. Eigentlich ist es ganz hübsch und es hätte ein lustiger Aufenthalt werden können, aber bis auf eine junge Französin ist es komplett leer. Wir nutzen die grenzenlose Freiheit, pesten das Wohnhaus, das separat von der Rezeption gelegen ist, mit den Gerüchen aus der Küche ein und schauen, heimlich im Aufenthaltsraum rauchend, den Tarantino-Schinken "From Dusk Till Dawn" an, den sowohl ich als auch Emilia noch nicht gesehen haben. Emilia kann nichts wirklich damit anfangen, ich finde ihn großartig, kann aber nun auch verstehen, warum Tarantino diesen zweifelhaften Ruf hat.
Da das Hostel für uns zu teuer ist, suchen wir im Internet nach günstigeren Unterkünften in der Umgebung von Manizales. Die Stadt hat, abgesehen von seiner Studentenszene und dementsprechend vielen Partys, nicht viel zu bieten, zumal bei unserm knappen Geld sowieso nicht an groß Party machen zu denken ist. Was sich aber wirklich lohnt, ist das Umland, auch als Kaffeeregion bezeichnet, da hier der meiste Kaffee Kolumbiens angebaut wird. Wir finden einige Attraktionen im Umland, unter anderem die Therme St. Vincente, unweit der Stadt Sta. Rosa sowie die kleine Stadt Salento, die vielleicht touristischste Kleinstadt Kolumbiens.
Am nächsten Morgen machen wir uns auf, nehmen einen kleinen, klapprigen Lokalbus in das schmucklose Sta. Rosa. Wir haben im Internet einen kleinen Hängemattenplatz unweit der Thermen gefunden, bis der Bus abfährt dauert es aber noch ein bisschen, da wir zu geizig für das Taxi sind. Während wir also am Kirchenplatz vor uns hin warten, spricht uns unvermittelt ein relativ junger Mann auf Spanisch an. Emilias Spanisch ist inzwischen so gut geworden, dass sie eigentlich fast alles versteht und fehlerfrei antworten kann, Nikolaus und mein Spanisch ist zumindest soweit gereift, dass wir das Gröbste verstehen und in völliger Missachtung von Deklination, Konjugation und sonstiger Grammatik antworten können. Auch wenn unsere Sprechkünste wirklich dramatisch schlicht und vermutlich in vielen Punkten völlig falsch sind, werden wir immer verstanden.
Jedenfalls bietet uns der Typ an, in seinem Haus zu wohnen, er hat eine kleine Bleibe außerhalb der Stadt, in einer sogenannten Finca, ein Landhaus. Man kann von dort mit einem Bus zu den Thermen fahren, allerdings nicht ganz nah dran, man müsste noch eine Stunde hinlaufen. Er will nicht viel Geld, also sagen wir ihm zu und fahren gemeinsam in einem Jeep zu seinem Haus.
Hauptplatz von St. Rosa
Dieses steht völlig abgeschieden in der Natur, umgeben von Wiesen, Wäldern und Kaffeeplantagen. Er führt uns durch die anliegenden Felder, wir ernten ein paar Mandarinen, die extrem lecker schmecken, er zeigt uns, welche Farbe die Kaffeebohnen haben müssen, bis man sie ernten kann und, nach dem Abendessen, holt er seine Gitarre raus, drück uns allen irgendwelche Bongos in die Hand und es wird wild drauflos gejammt. Er selber ist Musiker, reißt durch die Gegend und macht auf der Straße Musik, um damit seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Man kann ihn wohl am ehesten als Hippie beschreiben, nur dass seine Songs vorwiegend um Jesus gehen. Wir erleben einen unglaublich intensiven Abend, saugen uns mit unserem wenigen Spanisch ein paar Geschichten aus den Fingern und hören ihm gespannt zu. Da wir schon um fünf Uhr morgens aufstehen müssen, um den Bus zu den Thermen zu bekommen, gehen wir verhältnismäßig früh in die Betten - Entschuldigung - in unsere Hängematten und lauschen dem fernen Gewitter zum Einschlafen.
Der Mann weckt uns wie vereinbart um kurz nach Fünf und während wir verschlafen zur Hauptstraße wandern, schiebt sich langsam die Sonne über die hellgrünen Felder. Die Natur ist wirklich wunderschön, die Hügel sind ungewöhnlich rund geformt und das Grün des Grases ist so hell, wie ich es noch nicht gesehen habe.
Termales San Vincente
Neuseeland kann uns mal
Wir stellen uns an die Straße und warten. Unser Gastgeber ist noch mit uns mitgelaufen und winkt uns nach einiger Wartezeit einen Jeep heraus, der eigentlich völlig voll ist. Die Menschen stehen auf der Tragefläche, einige stehen hinten auf der Einstiegsrampe und halten sich irgendwie an den Gitterstäben des Fahrzeugs fest. Irgendwie quetschen wir uns noch dazwischen und erleben die wohl tollste Fahrt, die wir auf unserer ganzen Reise hatten. Eine gute halbe Stunde lang rauschen wir durch die Landschaft und kommen aus dem Staunen nicht mehr heraus. An einem willkürlich wirkenden Punkt hört die Fahrt unvermittelt auf und wir laufen den Rest der Strecke. Die anderen Passagiere kriegen große Augen, als wir erzählen, dass wir den ganzen Weg bis zur Therme laufen wollen, dieser sei ziemlich weit, und wie wir merken haben sie damit recht. Fast zwei Stunden lang schleppen wir uns permanent bergauf, bis wir schließlich, über vier Stunden nach dem Aufstehen, an den Thermen ankommen. Da Emilia und Nikolaus kein Bargeld mehr haben, schockt uns der Eintritt von 30.000 COP ziemlich, zumal wir danach gar kein Geld mehr hätten und schließlich noch unsere Unterkunft irgendwie bezahlen müssen. Wir fragen nach, ob es nicht einen Studentenrabat gibt, bitten und betteln, bis dem Typen am Eingang einfällt, dass man nur die Hälfte zahlt, wenn man mit dem Fahrrad gekommen ist. Das sind wir zwar nicht, aber Laufen geht durch und für 15.000COP kriegen wir unsere Eintrittskarte in die berühmten Thermales St. Vincente. Berühmt sind sie vor allem wegen ihrer heißen Becken, die von Gasen unter der Erdoberfläche erwärmt werden. Warm trifft es allerdings nicht ganz, manchen Becken sind sogar richtig heiß und ab und zu tritt man auf ein paar Steine am Fußboden, die einem die Sohle verbrennen. Man kann sich nichts Schöneres wünschen, als nach mehreren Stunden wandern in einem heißen Bad zu sitzen und die müden Beine auszustrecken und nach einigen Stunden haben wir jedes Becken ausprobiert, in allen Saunen vor uns hin geschwitzt und allmählich sind wir bereit, wieder zurück zu fahren. Direkt nachdem wir uns umgezogen haben, entlädt sich ein gewaltiges Gewitter über uns, gefolgt von sinnflutartigem Regen. Wir fragen nach, ob es einen Bus gibt, mit dem man zurück nach St. Rosa fahren kann, da keiner von uns Lust hat, die ganze Strecke nochmal zurückzulaufen, erst recht nicht jetzt, wo es so stark regnet. Aber der Shuttlebus ist teuer und fährt auch erst in ein paar Stunden. Also fragen wir andere Gäste, ob sie uns in ihrem Auto mitnehmen könnten und schon nach ein paar Minuten haben wir unglaubliches Glück, als uns ein junges Pärchen aus Cali in ihrem schicken neuen Seat mitnimmt. Emilia fährt direkt zurück in die Stadt, Nikolaus und Ich springen bei unserem Musiker-Freund raus, bezahlen ihn und holen unsere Sachen ab. Mein Bargeld ist nun komplett alle und Emilia will eigentlich in der Stadt Geld abheben. Da sie ein Monatslimit hat, war ihr das davor nicht möglich, inzwischen ist der Februar aber dem März gewichen und es sollte wieder Geld zur Verfügung stehen. Eigentlich.
Hostel Coffe Town
Als wir Emilia am Kirchenplatz wiedertreffen, ist sie leicht verzweifelt. Sie hat alle Automaten dieser Stadt durchprobiert, keiner spuckt ihr Geld aus, obwohl sie noch Geld auf dem Konto hat. Nikolaus wartet immer noch auf Geld von seinen Verwandten und Ich habe auch bereits eine Mail an meine Eltern geschrieben und um etwas Notgeld gebeten. Nun stehe wir schön angeschmiert da, haben noch etwa 10.000 COP in der Tasche und wollten eigentlich direkt nach Salento weiter. Wir überlegen, warum Emilias Kreditkarte nicht funktioniert, vielleicht weil heute Sonntag ist. Wir warten, bis es sechs Uhr Abend ist, in Deutschland ist dann schon der Montag angebrochen und versuchen erneut Geld abzuheben. Wieder nichts. Wir schmeißen unser letztes Kleingeld zusammen, kaufen uns im Supermarkt ein billiges, sattmachendes Abendessen ein und suchen uns ein Hostel, wo wir netterweise für wenig Geld unsere Hängematten aufspannen können. Natürlich erzählen wir beim Einchecken nichts von unserem Bankrott und hoffen einfach, dass Emilias Karte morgens wieder funktioniert oder alternativ meine Eltern mir schnell noch Geld über WesternUnion schicken können.
Auch am nächsten Morgen funktioniert Emilias Kreditkarte immer noch nicht, sie ruft daraufhin über Skype die Commerzbank an und bittet um Auskunft. Der Dame ist Emilias Problem aber genauso egal wie uns der Winter in Deutschland und lässt ein paar nichtssagende Sprechblasen ab. Glücklicherweise schickt mir meine Mutter rechtzeitig Geld über Western Union und zur Feier des Tages kochen wir zum Abend ein leckeres Mango-Curry. Da es inzwischen aber schon zu spät ist, um noch nach Salento zu fahren, bleiben wir eine weitere Nacht im Hostel, knapp dem Hungertod entkommen und machen uns morgens auf, über Pereira nach Salento.

Paul


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