Montag, 9. März 2015

28. Etappe - Medellin

Dicke Katherale in Medellin
Wir erreichen gegen 9 Uhr morgens Medellin, auch als die Stadt des ewigen Frühlings bekannt, da die Temperaturen über das ganze Jahr hinweg selten unter 20 und fast nie über 30 klettern, angenehme Bedingungen also für Europäer. Die Stadt ist wegen zwei Dingen sehr berühmt. Pablo Escobar und seiner S-Bahn, die einzigartig in ganz Kolumbien ist. Eine Arbeitskollegin aus dem Musicology in Bogota hatte uns schon erzählt, dass Bogotarianer immer etwas abwertend auf Medellin schauen, versucht sich die Stadt doch immer so ekelhaft modern und weltoffen zu geben. Alle Städte Kolumbiens kommen prima mit ihrem Bussystem aus, nur Medellin fühlt sich besonders toll und baut sich eine teure S-Bahnstruktur, die, wie wir allerdings feststellen, extrem gut funktioniert, nicht teuer ist und einen schnell von A nach B bringt.
Von A, dem Busterminal, nehmen wir die Metro nach B, unserem Hostel, nahe der Station "Estadio". Als wir, müde von der langen Busfahrt, ankommen, ist das Hostel leider schon ausgebucht und wir werden zu einem weiteren geführt, nur einen Block weiter. Ein älterer Costa Ricaner öffnet uns die Tür, wir schlafen zu einem für die Großstadt angemessenen Preis im Schlafsaal und sind dazu noch in einem ziemlich angenehmen Stadtteil. Medellin hat nicht sonderlich viele Sehenswürdigkeiten, die Stadt ist vorwiegend deshalb so beliebt, da sie über ein tolles Stadtleben verfügt. Wir fahren mit der Hochbahn ins Zentrum, natürlich nicht ohne davor die sagenhafte Seilbahn zu nehmen, die sich einmal über die gesamte Stadt spannt, tolle Aussicht bietet und dazu als ganz normale Fahrt zählt, man also nicht extra zahlt und gleich eine ganze Stadtrunfahrt geschenkt bekommt.
In der Gondel spricht uns ein etwa 50-jähriger Kolumbianer an, sein Englisch ist ganz gut, deshalb können wir uns gut unterhalten. Ganz in kolumbianischer Manier geht er erstmal charmant und sehr direkt auf Emilia los, bezeichnet sie als "Jungfrau" und versteht nicht, warum sie mit einem so hässlichen, bärtigen Typen wie mir zusammen ist. All das sagt er aber so augenzwinkernd, dass man es ihm nicht böse nimmt, auch wenn Emilia nach einer Weile etwas genervt ist. Er zeigt uns noch einen guten Platz zum Essen und fährt deshalb ungefragt ein paar Stationen mit uns mit, wo er sich auch schon freundlich verabschiedet. Wir laufen also durch die belebte Innenstadt, in der angenehmen Wärme Medellins und schauen uns die wenigen Sehenswürdigkeiten an, den Plaza de Botero, benannt nach dem berühmten Maler, der all seine Motive immer extrem fett malt, ein, zwei Kirchen und das war's dann auch schon. Wir stehen erneut vor einem großen Museum und wollen uns eigentlich eine Fotoaustellung anschauen, aber der Preis ist mit 20.000 einfach zu hoch. Teure Bildung ist man als Deutscher nicht gewohnt.
Zum Nachmittag fahren wir zurück Richtung Hostel. Der Besitzer, ein extrem freundlicher Mann, erzählt uns, dass Sonntag wieder ein Fußballspiel im Stadion stattfindet, wofür er uns Karten besorgen kann. 30.000, etwa 14€ würde der Spaß kosten und ist es uns auf jeden Fall Wert, da man in Südamerika eigentlich zwangsläufig im Stadion gewesen sein muss. Wir sagen ihm zu und bekommen drei Tickets ausgehändigt, Indepediente Medellin gegen Equidad de Bogota. Medellin selbst hat mit Athletico National einen weiteren Fußballclub, etwa das Bayern München Kolumbiens, der bei den Fans von Indepediente aber dementsprechend unbeliebt ist, zumal er in den 80ern durch Pablo Escobars Drogengelder enorm aufgebläht wurde und seitdem den schlechten Ruf nie ganz losgeworden ist. Uns wird geraten, nichts weißes oder grünes zu tragen, da dies nicht nur die Farben der Gegnermannschaft, sondern auch von Athletico Nacional sind und uns vorwiegend in Rot-Blau zu kleiden. Erst vor ein paar Tagen hatten wir uns in Cartagena einen der gefürchteten 5000-COP Shops vorgenommen, wo man alles für 5000COP kaufen kann und aus einer sehr komischen Laune heraus habe ich mir ein herrlich schlecht gefälschtes Bayern-München Trikot gekauft, um es in Berlin auf irgendeiner Bad-Taste Party zu tragen. Nun bekommt es jedoch einen ganz neuen Wert und ich bin froh, den richtigen Riecher gehabt zu haben.
Auf geht's Indepediente!
Emilia will sich ein Nasenpiercing stechen lassen und ich mir eins ins Ohr, also suchen wir uns am nächsten Tag ein Studio. Die Preise in Kolumbien sind sehr niedrig und es ist mehr oder weniger die Gelegenheit. Auch wenn ich Piercings nie so wirklich mochte, finde ich es doch irgendwie notwendig, irgendwas mit mir zu machen, bevor ich nach Deutschland zurückgehe und so ein kleiner operativer Eingriff erscheint mir als genau angemessen.
Unser neuer bester Freund
Es ist allerdings wie verhext, alle Piercingstudios, die wir in der Stadt finden, sind entweder zu, der Piercingbeauftragte ist im Urlaub oder ihre Auswahl an Ringen ist nicht zufriedenstellend. Nach vielen Versuchen, in denen ich mich schon still über die abgenommene Entscheidung "Pro&Contra-Piercing" gefreut habe, finden wir noch eins und nach einigen erstaunlich schmerzhaften Sekunden baumelt eine kleine Erinnerung an meinem Ohr und Emilias Nase vor sich hin und zur Belohnung kaufen wir uns gegenseitig ein Eis.
Der nächste Tag beginnt und nach einem leckeren Frühstück laufen wir allmählich Richtung Stadion, was wir in nur wenigen Gehminuten erreichen. Keiner von uns war bis jetzt live bei einem Fußballspiel dabei, die Vorfreude ist also groß. Mit einigen im voraus getrunkenen Bieren intus (im Stadion wird nur alkoholfreies Bier ausgeschenkt) betreten wir das Stadion und, wie wir schon fast erwartet haben, dauert es auch nicht lange, bis uns ein junger Kolumbianer unter seine Fittiche nimmt und uns die wichtigsten Fakten über seine Mannschaft erzählt.
Das Spiel beginnt, die Ultras in der Nordkurve vollführen eine beeindruckende Choreographie und die Stimmung ist, trotz des nicht extrem unterhaltendem Spiels ausgelassen. In der 35. Minute erziehlt Indepediente das einzige Tor des Spiels, Equidad, das übrigens keinen einzigen Auswärtsfan mitgebracht hat, bleibt über 90. Minuten fast durchgehend harmlos. Das Spiel endet, wir machen noch ein paar alberne Selfies mit unserem neuen besten Freund und gehen nach Hause.
Nikolaus und Emilias Hängematten
Da wir bis jetzt in jedem Land auf unserer Reise einmal im Kino waren, wollen wir diese Tradition fortsetzen und schauen uns die Spätvorstellung im nahen Multiplex an, ein nicht sonderlich innovativer Thriller mit James Franco und Kate Hudson, der aber zumindest unterhält. Nach drei Nächten in Medellin reisen wir schon weiter, zu einem Öko-Hostel in einem kleinen Ort bei Medellin. Diese Farmen haben uns bis jetzt immer am meisten gefallen, auch wenn man nicht mehr in der Stadt ist. Doch da wir eh kein Geld haben, um teure Stadt-Sachen zu machen, nehmen wir ein letztes Mal die Hochbahn und fahren zum Südterminal, wo es mit einem kleinen, klapprigen Bus weitergeht. Hoch durch die wunderschönen Berge nach Amagá.
Nach einer knappen Stunde Busfahrt kommen wir in Amaga an, eine etwas groß geratenes Dorf in den Bergen. Die Straßen sind steil, das Wetter sehr wechselhaft und die Bewohner gucken uns immer ein paar Sekunden zu lang hinterher. Vom Dorfplatz nehmen wir einen Jeep zum Ecohostal Medellin. Wir kommen an einem großen, sehr hübsch geplanten Grundstück an, wo sich bereits eine Menge Leute befinden. Paola, die Besitzerin bietet uns freundlich an, unsere Hängematten an Plätzen unserer Wahl aufzuspannen, ich hänge mich zwischen zwei Bäume mit Blick auf einen großen Berg, werde diesen Platz aber spätestens ab dem zweiten Tag bereuen, als sich ein großer Wolkenbruch über dem Hostel ergießt.
Für 5.000COP gibt es jeden Abend Essen, was ein günstiges Angebot ist, günstiger würden wir vermutlich selber nicht einkaufen können. Beim gemeinsamen Abendbrot merken wir, dass das Hostel brechend voll ist und nach einigen Gesprächen merken wir auch, warum. Alle Anwesenden machen hier einen Sprachkurs, der mehrere Wochen dauert und für 350 Dollar bekommt man Spanisch-Unterricht, Essen, Unterkunft und muss dafür ein bis zwei Stunden am Tag Farm-Arbeit machen.
Die Idee der Permakultur wird hier sehr ernst genommen, für mein Empfinden fast ein bisschen zu ernst. Auf dem Grundstück sind sowohl jeglicher Alkohol als auch Rauchen strikt untersagt, Paola versucht, keinen Müll zu verursachen. Leere Plastikflaschen füllt sie mit Plastikmüll und benutzt die vollen und relativ schweren Flaschen zum Bauen von Fundamenten. Der Strom kommt von Solarzellen und einige Lebensmittel baut sie selber an. Die anderen Leute im Hostel sind aber wesentlich entspannter drauf und wir werden von der ersten Minute wie selbstverständlich in der Gruppe aufgenommen. Die meisten kommen aus den USA oder Kanada, dazu noch ein Österreicher und ein Deutscher, der sogar nur ein paar Straßen weiter wohnt als ich. Dieser hat gerade seine Pilotenausbildung bei der Lufthansa abgeschlossen, die ihm aber wider Erwarten keine Arbeitsstelle angeboten haben und er zurzeit nochmal was ganz anderes studiert. Aufgrund einer Vertragsklausel darf er sich auch bei keiner anderen Airline bewerben und muss nun warten, was auf ihn zukommt. Er erzählt von der knallharten Einsparpolitik, die die Lufthansa zurzeit führt und mein Glaube an eines der ältesten deutschen Unternehmen verpufft innerhalb weniger Sekunden.
Ich und meine Hängematte
Trotz des Alkoholverbots geht es im Hostel ziemlich lustig zu. Zwar sind die Aufstehgewohnheiten hier mit unseren schwierig zu vereinbaren, da das Frühstück bereits um sechs Uhr aufgetischt wird und die gesamte Mannschaft dementsprechen schon gegen 9 Uhr abends ins Bett geht. Wir hatten eigentlich vor, höchstens zwei Nächte zu bleiben, da Emilia und Ich bereits Mitte März Kolumbien verlassen, aber die Leute sind so super und die Stimmung so angenehm, dass wir unseren Aufenthalt verdoppeln und uns mit vielen, vielen Leuten anfreunden.
Wir verbringen die Tage meistens auf der Farm, lesen, quatschen mit unseren neuen Freunden oder laufen zum Einkaufen in das Dorf. Der Weg dauert nur zwanzig Minuten, ist aber an einigen Stellen ordentlich steil, weshalb man sich am besten an den Straßenrand stellt und sich von einem der Mopeds oder Jeeps mitnehmen lässt, wobei man sich bei Zweitgenannten meistens auf die Plattform stellt und sich am Gerüst des Gefährts festhält.
Soweit Paolas Onkel das Grundstück betritt, ist immer ruck zuck Stimmung in der Bude, er gräbt charmant auf die im vorigen Blog bereits erwähnte direkte Art jedes weibliche Wesen an, macht lustige Sprüche und schon sein Mischmasch aus Spanisch und schlechtem Englisch ist einfach lustig. Paola verlässt am Donnerstagabend das Hostel, um nach Medellin zu fahren, die Sprachkursteilnehmer haben bis Sonntag "sturmfrei" und es macht sich ein ziemlich witziges "Mama ist nicht mehr da" Gefühl breit. Schon bald werden die strikten Regeln beiseitegewischt und es sprießen die Bierflaschen auf dem ganzen Gelände wie Pilze aus dem Boden. Ein lustiger, verrückter Abend bahnt sich an. Beim gemeinsamen Abendessen hält einer der Anwesenden eine plötzliche Ansprache und sagt, dass er unglaublich enttäuscht von allen sei, Emilia fängt spontan an zu lachen, da sie das Gesagte für einen schlechten Scherz hält, verstummt dann aber peinlich berührt, da das Ganze offensichtlich todernst ist. Die Stimmung ist für ein paar Minuten ziemlich gedrückt und unangenehm, als ich später mit ein paar Leuten über die Ansage spreche, sagen mir viele, dass man ihn nicht zu ernst nehmen sollte, er ist schon seit mehreren Monaten auf der Farm und gewissermaßen Paolas Stellvertreter. Die Ansage war an sich ja nicht verkehrt, etwas verwundert bin ich aber doch, als der sogenannte Stellvertreter dem anschließenden Lagerfeuer konsequent fernbleibt und das ganze offensichtlich extrem schlimm findet.
Die wunderschöne Berglanschaft
Alle verhalten sich vorbildlich, räumen ihre Bierdosen und anderen Müll artig auf und wir verbringen einen wunderschönen, magischen Abend am Lagerfeuer, spielen Gitarre, reden über das Leben, tauschen Geschichten aus und gehen alle mit einem Lächeln wieder ins Bett.
Für mich und Emilia wird die verbleibende Zeit allmählich knapp, in etwa drei Wochen fliege ich von Bogota zurück nach Deutschland, Emilia fliegt von Medellin in die Staaten und verbringt dort einen kleinen Urlaub mit ihrer Familie in New York, um danach noch nach Italien zu ihrer Familie zu fliegen. Für sie geht die Reise also noch etwas weiter, ich jedoch werde nach einem halben Jahr wieder in das normale Leben zurückkehren. Nikolaus wiederum leiht sich noch Geld von Verwandten, um noch einen Abstecher nach Venezuela zu machen.
Sowohl Geld als auch Zeit sind knapp, also planen wir die letzten Tage und Etappen genau durch. Wir entscheiden uns für Emilias Vorschlag, nach Manizales zu fahren, eine Studentenstadt, ein paar wenige Busstunden südlich von Medellin. Wir haben schon seit längerem Lust wieder zu couchsurfen, aber auch in Manizales sagen uns alle Leute ab, die wir angeschrieben haben. Zu dritt ist sowas natürlich wesentlich schwieriger.
Wir verabschieden uns von unseren neuen Freunden, fahren zurück nach Medellin und nehmen einen günstigen Bus nach Manizales.

Paul







Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen