Unsere Straße |
Am folgenden Tag machen wir einen sehr authentischen Ausflug in einen nördlich gelegenen, wohlhabenderen Teil der Stadt. Ein kolumbianischer Freund von mir aus Berlin, Thomas, hat uns netterweise, obwohl er mich zugegebenermaßen nicht gut kennt, zu seiner Geburtstagsfamilienfeier eingeladen. In seinem Garten erwartet uns eine 30-köpfige Familie, sogar die Verwandtschaft aus Argentinien ist rübergeflogen und bereitet ein echt argentinisches Grillen vor. Wir stehen zunächst ein bisschen hilflos in der Gegend rum und fühlen uns fehl am Platz. Doch bald werden wir mit Essen überhäuft und sind überwältigt von der Offenheit und Gastfreundlichkeit dieser Menschen. Nach dem ein oder anderen Bier tauen wir auch langsam auf und kommen ins Gespräch mit einigen Familienangehörigen. Nach Einbruch der Dunkelheit, fahren wir mit zwei Freunden von Thomas in die Stadt zurück. Beide sind mit ihren Eltern nach Kanada ausgewandert, als in Kolumbien der Drogenkrieg tobte. Einer spielt für einen Jugendfußballverein in Kanada und scheint auf dem guten Weg zu sein, ein Profispieler zu werden. Auf dem Weg halten wir noch bei einer Mall an und werden Zeugen davon, wie man in diesem Land anscheinend Marihuana kauft: Ein Taxi fährt vor, einer der beiden steigt ein, das Auto fährt um den Block und er steigt wieder aus. Sie erklären uns, dass das der sicherste Weg ist, vor der Polizei unentdeckt zu bleiben.Sie lassen uns an einer Busstation raus, die in nah an unserem Hostel liegt, so nah, dass man meinen könnte, den restlichen Weg laufen. Doch es ist schon dunkel, und die einzigen Menschen, die sich noch auf den Straßen aufhalten, sehen nicht sonderlich vertrauenswürdig aus. Die Jungs wollen trotzdem laufen, doch ich hab ein ungutes Gefühl und erkundige mich bei der Polizeistation. Die Polizisten antworten nur mit einem Lachen auf meine naive Frage und raten uns dringenst, ein Taxi zu nehmen. Also gehen wir rüber auf die andere Strassenseite auf einen Platz, um uns ein Taxi ranzuwinken. Der Polizist kommt uns sofort nachgerannt und erklärt, dass man sich nicht länger als ein Paar Sekunden auf diesem Platz aufhalten sollte, wenn man nichht ausgeraubt werden möchte. Er ruft uns ein Taxi und wir fahren erleichtert zurück zum Hostel.
Uns waren schon bei unserer Ankunft die Schilder im Hostel aufgefallen, dass sie Hilfe während der Hochsaison benötigen und freiwillige Arbeiter sehr willkommen sind. Eines Abends kommen wir ins Gespräch mit den Mitarbeiten und werden nochmal persönlich gefragt, ob wir nicht einige Wochen im Hostel arbeiten wollen. Wir überlegen lange, da Bogota uns nicht die schönste Stadt zu sein scheint und wir befürchten, uns zu langweilen. Letztendlich entscheiden wir uns dennoch dafür. DIe Idee, länger in einem Ort zu leben, anstatt die üblichen paar Tage Tourist zu sein, gefällt uns. Wir sagen für 3 Wochen zu, unsere Arbeit wird am 1.Januar beginnen.
Silvester kommt, und wir wissen immer noch nicht, wo wir den Abend verbringen wollen. Obwohl uns das Konzept nicht besonders zusagt, fällt unsere Entscheidung letztendlich auf den "Partybus" , den das Hostel anbietet, da die meisten anderen Hostelgäste auch mitfahren werden. Wir zahlen einen Einheitspreis von 35000 COP(15€) und können im Bus unbegrenzt billigen Wodka und Aguardiente (eine Art kolumbianischer Wodka, der schmeckt, als wäre er mit Wasser verdünnt) trinken. Während der gesamten Fahrt tönen in beachtlicher Lautstärke Salsahits, die uns nach 2 Monaten Lateinamerika bereits bekannt sind, aus den Lautsprechern und ab und zu die dicksten Chart Hits der letzten Jahre. Die Musik macht es unmöglich, eine Konversation zu führen, also fangen wir irgendwann einfach an, laut mitzugrölen-es ist schließlich Silvester. Unser erster Stopp ist der Stadtpark, der mit übertrieben viel Weihnachtsbeleuchtung "verschönert" wurde. Als nächstes fahren wir zu einem Aussichtspunkt, wo wir einige Zeit bleiben und, erheitert von dem vielen Alkohol, anfangen zu tanzen, einige stellen sich sogar als richtige Salsatanzprofis heraus. Feuerwerk gibt es leider kaum. Dann bringt uns der Bus zu einem Club in der Candelaria. Einige Stunden Tanzen wir und beobachten, wie so mancher daran scheitert, eine Südamerikanerin aufzureißen, bis unsere Beine müde werden.
Am nächsten Morgen werden wir verkatert an der Rezeption eingewiesen. Schnell merken wir, dass die Arbeit im Musicology nicht mit den lächerlichen paar Stunden am Pool vor der Rezeption rumhängen in Puerto Escondido zu vergleichen ist. Während wir dort lediglich Namen und Passnummer der Neuankömmlinge notieren mussten, gibt es hier ein wesentlich komplizierteres System, bei dem man allein beim Einchecken schon vier verschiedene Formulare ausfüllen muss. Wir arbeiten fünf Tage in der Woche, 8 Stunden täglich. Abgesehen von der Rezeptionsarbeit, sind unsere anderen mit Abstand entspannteren Aufgaben ab und zu die Bar zu schmeißen und die Nachtwache zu halten. An der Bar zu arbeiten macht Spaß, da man schnell mit den anderen Gästen ins Gespräch kommt. Die Nachtwache schlagen wir damit tot, Filme auf unserem neuen Netflix Account zu sehen. Leider geht die Nachtschicht bis halb acht Uhr morgens, wenn die Ersten aufstehen und Lärm machen, was es schwierig gestaltet, danach zu schlafen und nach einiger Zeit sind unsere Schlafrhythmen völlig durcheinander.
Die Sorgen, dass wir uns langweilen könnten verfliegt schnell. Das Hostel ist meistens ausgebucht, und eine coole Gruppe löst die andere ab. Wir drei sehen uns, unserer verschiedenen Schichten wegen, verhältnismäßig selten, dafür lernen wir aber unglaublich viele, interessante Menschen kennen, mit denen wir Bogota entdecken können. Die Stadt ist sicherlich nicht, was die meisten Leute als "schön" bezeichnen würden, aber hat viel zu bieten und einen gewissen Charme. Wie bereits gesagt ist die Stadt kalt, sehr kalt sogar, was uns besonders während der Nachtwache auffällt, da das gesamte Hostel nicht beheizt ist. Man kann das Klima wahrscheinlich am besten mit Berlin im Herbst vergleichen, nur das es hier die klassischen Jahreszeiten nicht existieren, es gibt lediglich Regen- und Trockenzeit.
Besonders beeindruckt uns die Graffititour: Der Organisator ist selbst Streetart-Künstler und steckt alle mit seiner Begeisterung an. Wir erfahren viel über das Land und Streetart in Bogota. Neu war uns, dass sie seit langen einen wichtigen Teil der Kultur Kolumbiens ausmacht und, wie sehr sie akzeptiert ist, sodass die Polizei die Künstler sogar schützt, anstatt sie zu verhaften.
Zu unserer großen Freude finden Nikolaus und ich eine Second Hand Bücherei,"La torre de Babel", die sich auf drei Stockwerke ausbreitet und eine anständige Auswahl an englisch sprachigen Büchern zu bieten hat. Nachdem Nikolaus' Kindle kaputt gegangen ist, machen wir einen Großeinkauf, unter anderem kaufe ich mir auch spanische Kinderbücher,welche nur zu empfehlen sind, um die Sprache zu lernen. Langsam aber sicher klappern wir jeden Markt und jedes Museum in der Candelaria ab. Die Abende verbringen wir meist in der Hostelbar, wo wir uns mit den anderen Reisenden austauschen, oder in kleinen Salsabars, in denen wir uns zum Affen machen. Bald kennen wir uns so gut in der Gegend aus, dass wir andere Reisende rumführen. Wir fühlen uns fast schon wie zu Hause, was den Abschied nach drei Wochen schwer gestaltet. Dennoch spüren wir, dass es langsam Zeit wird, weiterzuziehen und Neues zu entdecken. Unser nächstes Ziel ist San Gil, ein Bergort nördlich von Bogota. Wir umarmen unsere neu gewonnen Freunde in der Hoffnung, sie irgendwann mal wiederzusehen und machen uns auf.
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