Donnerstag, 5. Februar 2015

17. Etappe - Trinidad

Nach dem tristen und ziemlich deprimierenden Cienfuegos ist Trinidad ein absoluter Augenöffner. Die Stadt feiert gerade ihr 500-jähriges Bestehen und ist damit eine der ältesten spanischen Kolonialstädte Kubas. Schon während der Fahrt hat der Taxifahrer uns gefragt, ob wir denn eine Casa haben und war, nach unserer verneinenden Antwort, sichtlich bestürzt. So merkwürdige Gäste hatte er noch nie in seinem Auto.
Plaza Central in Trinidad
Er fährt uns zu einer Bekannten, die uns wiederum zu ihrer Schwester leitet. Diese wohnt in einem schicken, relativ großen Haus in der Altstadt. Da sie sehr gutes Englisch spricht, fällt uns die Kommunikation leichter und wir handeln einen sehr angenehmen Preis für Zimmer plus Frühstück heraus. Als Gegenleistung für ihr Entgegenkommen mit dem Preis verpflichten wir uns aber, am folgenden Abend bei ihr zu Essen. Leider fragen wir nicht nach, wie viel Geld sie dafür haben will, was uns nachher teuer zu stehen kommt.

Wir laufen fröhlich durch die Altstadt und sehen uns an den schönen Gebäuden und hübschen Plätzen satt. Nach dem tristen Cienfuegos und dem hektischen Havanna ist dies die bis jetzt schönste Stadt, die wir besuchen. Wie auch schon in Mexiko sind die Straßen komplett nass und rutschig. Der Ursprung liegt in einer nicht sonderlich gut geplanten Abwasserversorgung. Die Rohre werden nämlich größtenteils einfach zubetoniert, doch nach einigen Jahren frisst sich das Wasser durch Asphalt und Zement. Was Wasser plätschert also fröhlich vor sich hin und macht die Straßen mehr und mehr marode. Inzwischen haben wir schon einige Tage in Kuba verbracht und können die Strassenpizzen, die wir uns davor immer zum Mittagessen geholt haben, nicht mehr sehen. Emilia und Nikolaus entdecken allerdings, dass man in Kuba unter "Tortilla" offensichtlich Rührei versteht, als ich genau diese bestelle und etwas enttäuscht bin, nicht eine Mais-Tortilla wie in Mexiko zu erhalten. Hungrig stürzen sie sich auf das wehrlose Rührei mit Brot und werden sich die nächsten Wochen vorwiegend davon ernähren. Da ich nie der große Ei-Fan war, schlage ich mir den Magen mit merkwürdigen Spaghetti voll, die nicht sonderlich schmecken und Emilia in ihrer italienischen Seele vermutlich tief verletzen.
Straße in Trinidad
Wir wandern weiter durch die Straßen, allmählich Richtung Südausgang, von wo das Meer nicht weit entfernt sein soll. Schon der Ausblick ist umwerfend, uns wird aber abgeraten, zum Meer zu laufen, da es doch ordentlich weit weg sein soll und es außerdem bereits auf den Abend zugeht. Auf dem Rückweg zur Casa kaufen wir noch bei einem Straßenhändler (der seinen PKW einfach auf der Straße geparkt hat und aus seinem Kofferraum hinaus an die Passanten verkauft) einen quietschsüßen Fruchtwein, den wir später bei unserem Abendessen in der Casa genießen. Das Essen ist ziemlich lecker und wir munkeln, da wir vorher nicht nach dem Preis gefragt haben, wieviel die gute Dame uns dafür wohl berechnen wird.
Trinidad ist gegen Cienfuegos eine absolute Aufwertung. Die kleine Altstadt mit seinen engen Gassen und seinen alten Häusern steht nicht zu Unrech in der Liste des Weltkulturerbes. Der einzige Nachteil, der allerdings auf ganz Kuba zutrifft, ist, dass das Touristenleben hier enorm teuer ist. Die große Salsa Bar am alten Marktplatz ist verflucht teuer, verständlich, da die meisten Besucher Touristen sind, die es nicht sonderlich stört, 3 CUC (also 3 Dollar) für ein Bier zu bezahlen. Wir suchen uns eine etwas abgeschiedenere Bar und verbringen den Abend erneut damit, in endlosen Runden "Arschloch" zu spielen. Auf dem Rückweg laufen wir an einem kleinen Souvenirmarkt vorbei. Ein Straßenhändler zeigt uns eine kleine Holzbox und bietet uns an, wenn wir sie ohne fremde Hilfe öffnen können, schenkt er uns diese. Der Mechanismus ist aber derartig raffiniert, dass wir gut eine halbe Stunde lang versuchen, mit roher Gewalt die Box zu öffnen und schließlich den Nachbarstand fragen. Unser Händler hat das aber mitgekriegt und nimmt uns die Boxen mit einem Lächeln wieder aus der Hand.
Während wir uns das Hirn zermatern, führt Emilia ein spannendes Gespräch mit einem am Bordstein sitzenden Kubaner. Er erklärt ihr, auf seine ziemlich direkte Weise, wie kaputt das Wirtschafts- und Gesellschaftssystem in Kuba ist. Da nur die Menschen, die im Tourismus arbeiten die begehrten CUC bekommen, ist seit einiger Zeit eine krasse Zwei-Klassengesellschaft entstanden. Man kann zwar den CUC in die kubanische Währung  problemlos umtauschen, aber andersherum kriegt man einen deartig schlechten Kurs, dass es sich nicht lohnt. Er, wie viele andere Kubaner, hat bereits seine halbe Familie in den USA und sparrt gerade auf ein Ticket, um das Land ebenfalls zu verlassen. Wie wir später erfahren, ist aber auch die Anschaffung eines Passes extrem teuer. 100 CUC werden benötigt, alle zwei Jahre muss dieser für dieselbe Summe verlängert werden. Diese Summe ist etwa das 5-fache des durchschnittlichen Monatsgehalts. Und noch extremer: ein Kubaner, der sich länger als zwei Jahre außerhalb Kubas aufhält, kriegt postwendend die Staatsbürgerschaft entzogen. Ernüchtert laufen wir zurück zu unserer Casa.
Kurz bevor wir ankommen erhaschen meine Ohren Live-Musik. Und zwar Live-Musik, die NICHT Salsa ist. Wir folgen der Geräuschkulisse und mutmaßen auf dem Weg, um welchen Song es sich wohl handelt. Als wir an der Quelle ankommen, sind wir sicher, uns nicht verhört zu haben. Eine Cover-Band spielt "Killing In The Name Of" von Rage Against The Machine in der dazu angemessenen Lautstärke. Die Bar heißt "Yesterday" und so sieht es auch drinnen aus. Beatles Poster, Beatles Wandzeichnungen, Beatles Schriftzüge im Stil von Yellow Submarine. Beatles, Beatles, Beatles. Und gespielt wird Rage Against The Machine.
Yesterday Bar
Wir merken uns die Bar aber auf jeden Fall vor, Live Musik, die nichts mit Salsa zu tun hat, werden wir wohl so schnell nicht noch einmal finden.
Am nächsten Morgen suchen wir erneut ein Internetcafe. Das, welches wir diesesmal finden ist zwar nicht ganz so teuer wie in Havana, aber immer noch kostspielig im Vergleich zur westlichen Welt. Ich schreibe ein paar genervte Mails an meine Bank, da meine Kreditkarte Probleme macht und wir schauen erneut nach günstigen Flügen Richtung Kolumbien. Die günstigen Angebote, die wir in Mexiko gefunden haben, sehen wir leider immer noch nicht wieder und wir stellen uns innerlich darauf ein, doch um die 300€ auszugeben. Später machen wir uns auf Richtung Meer. Da wir natürlich keine Lust haben ein Taxi zu bezahlen, stellen wir uns in ganz klassischer Manier an die Straße und halten den Daumen raus. Ein älterer Bauer nimmt uns schließlich auf seinem wackligen Pferdekarren, wofür wir ihn mit 20 MN (etwa 80 cent) entlohnen.
Nicht sehr guter Strand
Das Meer ist leider ein kleiner Reinfall. Es ist längst nicht so warm wie noch in Cienfuegos und außerdem verflucht flach. Nach gefühltem kilometerlangem ins Meer Waten steht das Wasser einem gerade mal bis zu den Knien. Wir fahren wieder zurück, diesmal in einer Art Bus, der uns für einen MN mitnimmt.
Wir essen in einem kleinen kubanischen Restaurant, wo man angenehmerweise in der kubanischen Währung zahlen kann. Das Essen ist gut, aber für kubanische Verhältnisse relativ teuer.
Angenehm gefüllt gehen wir also in die Yesterday Bar. Es spielt dieselbe Band wie gestern, offensichtlich eine Hausband. Das Repertoire besteht aus den größten Rock-Klassikern der letzten Jahrzehnte, gemischt mit Beatles Songs. Die Band sieht relativ gelangweilt aus, vermutlich spielt sie dieselbe Setlist jedes Wochenende. Die Stimmung ist ausgelassen und wir stellen erleichtert fest, dass der Großteil der Zuschauer Kubaner sind, wir also nicht in eins dieser Touri-Lokale gestolpert sind. Die meisten sind in unserem Alter, kennen die Lieder in und auswendig. Was sie jedoch deutlich unterscheidet sind Frisuren und Klamotten. Die meisten sind angezogen wie in den 90ern und ab und zu blitzt der ein oder andere Vokuhila auf. Viele tragen offen und mit spürbarer Überzeugung T-Shirts mit der amerikanischen Flagge. Das Land ist nicht komplett von der Außenwelt abgeschottet, aber dennoch einige Jahre hinterher. Zum Abschluss des Konzerts gibt es wieder "Killing In The Name Of". Die Masse explodiert. Wir leider nicht.
Am nächsten Morgen planen wir unsere weitere Etappe. Trinidad liegt direkt am Fuße eines kleinen Gebirges und wir überlegen, uns im größten Ort, Topes genannt, eine Casa zu suchen. Es gibt sogar einen Autobus, der für sehr wenig Geld die halbe Stunde Weg zurücklegt. Davor lassen wir jedoch noch unsere Klamotten in der Casa waschen. Bei den guten Erfahrungen, die wir davor hinsichtlich der Wäschereipreise gemacht haben, denken wir uns nicht böses. Dann kriegen wir die Rechnung.
Das Essen wurde uns pro Person mit 10 CUC berechnet, die Wäsche (etwa 3 Kilo) mit 15. Wir protestieren natürlich heftig, wohl wissend, dass wir in keiner guten Verhandlungsposition sind. Wir kriegen die übliche tragische Geschichte einer hart arbeitenden Mutter mit zehn Kindern und totem Mann zu hören und handeln sie zumindest noch auf 12 für die Wäsche runter. Dennoch müssen wir Geld abheben gehen.
Unser nächstes Ziel: Topes de Collantes
Wir gehen Richtung Bank und stellen uns in die Schlange. Während Emilia mit ihrer Kreditkarte Geld abhebt, steht Nikolaus unschlüssig am Geldautomaten nebenan. Der Automat fragt ihn überraschend, wie viel Geld er denn haben möchte. Geistesabwesend drückt Nikolaus auf 150 CUC. Das Geld wird ausgezahlt. Wir staunen.
Da sehe ich die Kreditkarte, die noch im Automaten steckt, vermutlich hat der Herr in der Schlange vor uns sie einfach stecken gelassen. Die Karte ist von einem gewissen Jens Voss und ausgestellt von der IngDiba. Na klar. Ein Deutscher.
In der näheren Umgebung fehlt von einem Menschen, der Jens Voss heißen könnte jede Spur. Ich gehe zum Busbahnhof und schaue mich um. Schließlich rufe ich einfach laut auf Deutsch: "HERR VOSS, SIE HABEN IHRE KREDITKARTE VERLOREN!" Sofort schallt es aus einer Ecke "Ich bin Jens Voss!" Ich drehe mich um.
Hassan sitzt in der Ecke und grinst mich breit ein.
Ich suche die Hotels in der Umgebung ab und frage nach. Schon beim Zweiten werde ich fündig. Jens Benedikt Voss aus Dinslaken hat gerade ausgecheckt und wollte mir seinem Mietwagen heute eine weite Strecke, einmal quer durch das ganze Land, zurücklegen. Ich bitte die Rezeptionsdame, ihn telefonisch zu kontaktieren, obwohl ich bezweifle, dass das funktionieren wird, da in Kuba eine andere Bandbreite verwendet, die ausländische Handys nicht empfangen können, während wir noch eine Weile vor der Bank warten. Vielleicht hat er ja bereits seinen Verlust bemerkt und ist auf dem Weg zurück. Wäre es nur die Karte, hätten wir sie einfach im Hotel abgegeben. Nikolaus fühlt sich aber nicht wohl, das versehentlich abgehobene Geld von der Bank zum Hotel zu bringen und fragt die Empfangsdame der Bank, ob man Geld und Kreditkarte nicht hier deponieren könnte. Da für diese Frage unser Spanisch definitiv nicht ausreicht, wird aus dem hintersten Winkel der Bank eine "englisch" sprechende Angestellte hervorgeholt. Nach einer halben Ewigkeit begreifen sie, was vorgefallen ist, sagen uns aber, dass sie uns nicht helfen können.
Wir gehen also wieder zum Hotel. Die Rezeptionistin winkt mich aufgeregt zu sich heran. Sie hat Herrn Voss erreicht und er ist auf dem Weg zurück. 20 Minuten vergehen.
Jens Benedikt Voss aus Dinslaken betritt abgehetzt die Hotellobby. Wir erzählen ihm unsere Geschichte, woraufhin er uns als Dank für unsere Ehrlichkeit 10 CUC schenkt. Überstürzt verabschiedet er sich und hetzt wieder zurück zu seinem Auto. In unserer Fantasie hatten wir uns schon vorgestellt, die Kreditkarte eines Millionärs gefunden zu haben, der uns als Gegenleistung mit seinem Privatflugzeug durch die Gegend fliegt. Schade.
Schöne Stadt
Nachdem wir zähneknirschend die Casa Besitzerin auszahlen, machen wir uns auf zum Bus. Doch dieser hat eine Panne und fährt heute nicht mehr. Wir haben die Option, entweder noch eine Nacht zu bleiben oder uns doch ein Taxi Richtung Topes zu besorgen. Beides ist mir Geld-ausgeben verbunden. Wir fragen die Taxifahrer, wie viel sie für die Strecke wollen. Die meisten handeln wir auf 20 CUC runter, bei 15, soviel wäre uns die Fahrt wert, ist aber offensichtlich Schluss. Wir versuchen alles, erhöhen auf 18, stoßen aber nur auf taube Ohren. Schließlich willigt ein älterer Mann, eine stark riechende filterlose Zigarette im Mundwinkel, ein.
Und los geht die Fahrt in einem alten Moskwitsch, hinauf in die malerischen Berge Kubas.

Paul

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